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Know-how Rechtschreibung

Haben oder sein. Heißt es: Ich bin gefahren oder ich habe gefahren?

Unfallfrei durch den Verkehr zu kommen hat selten etwas damit zu tun, ob man gefahren ist oder gefahren hat. Schließlich steuern Sie Ihr Auto in diesem Moment mit dem Lenkrad und nicht mit sprachlichen Wendungen. Die Formulierung „Ich habe zum Schloss gefahren“ klingt dagegen tatsächlich wie ein sprachlicher Totalschaden. Aber warum ist das so? Wann bilden Verben das Perfekt mit sein und wann mit haben? Falls Ihnen die Perspektive des Lektorats zu engstirnig ist, können Sie mit Erich Fromm auch das große Ganze in den Blick nehmen.

Ich bin gefahren und ich habe gefahren: Bewegungsverben können das Perfekt mit haben oder sein bilden

Die meisten Verben bilden das Perfekt Aktiv mit haben: Ich habe gegessen, zum Beispiel. Einige intransitive (nicht zielende, das heißt kein persönliches Passiv bildende, kein Akkusativobjekt nach sich ziehende) Verben bilden das Perfekt dagegen mit sein, wenn ein Zustandswechsel angezeigt wird: Der Wanderer bricht auf. (Perfekt:) Er ist aufgebrochen. Ich stehe ja schon auf. Ich bin aufgestanden.

Intransitive Verben erkennt man daran, dass man nichts mit diesen Verben tun kann. Zum Beispiel können Blumen blühen, man selbst kann aber nichts blühen. Am Ende sind die Blumen verblüht. Andere Verben können so oder so gebraucht werden: Ich habe Metall geschmolzen. Der Schnee ist geschmolzen.

Kommen wir nun aber zur der in der Einleitung formulierten Frage, wie es sich mit Verben der Bewegung verhält. Zunächst ist es in der Regel möglich, Bewegungsverben sowohl mit haben als auch mit sein zu bilden: Ich bin gejoggt. Ich habe gejoggt.

Ich bin zum Supermarkt gefahren: Richtungsangaben werden generell mit sein gebildet

Nun kommt die erste Einschränkung: Verbinden Sie das Bewegungsverb mit einer bestimmten Richtung, verwenden Sie sein. Ich bin in Berlin zum Alexanderplatz gejoggt. Ich bin direkt zu ihr gegangen. Hinweis: Die Verben gehen, reisen und laufen werden generell mit sein gebildet.

Tendenziell häufiger: Ich bin gefahren

Mit Bewegungsverben verhält es sich in etwa wie mit dem Titel von Erich Fromms Buch „Vom Haben zum Sein“.
Sein wird in der Bildung bevorzugt, wichtig ist bloß, dass man mit den Verben eine Richtungsangabe verbinden kann. In einigen Fällen kann die Verwendung von sein oder haben aber auch unterschiedliche Bedeutungen suggerieren: Ich bin geflogen (als Passagier). Ich habe geflogen (als Pilot). Ich bin gefahren (als Beifahrer). Ich habe gefahren (als Fahrer). Auch beim Verb bummeln ist dies recht einleuchtend: Kommt meine Verabredung zu spät, so wäre es erfrischend, wenn sie, statt die Verantwortung auf Bus, Bahn usw. abzuschieben, einfach riefe: „Sorry, ich habe gebummelt!“ Am Ende eines langen Einkaufstages, nach Nudelbox und Eisbecher, pünktlich zum Film um 20:15 Uhr, ruft man hingegen erschöpft und möglicherweise glücklich: „Ach, was waren wir heute schön bummeln.“

Sein statt haben: Die Spätzle sind in der Schüssel gelegen

Die Verwendung von haben und sein unterliegt allerdings auch regionalen Unterschieden. In Süddeutschland heißt es zum Beispiel: Die Linsen sind im Eintopf gelegen, die Schüler sind gesessen und die Leute sind an der Bushaltestelle gestanden. (In Norddeutschland verwendet man dafür haben). Auch die Wendung: In diesem Teich hat es viele Fische, statt, gibt es, ist süddeutsch. Hier liegt die Wahrheit also vor allem im Auge des Betrachters, eine per se korrekte Form gibt es nicht.

Auf einen Blick

Intransitive Verben, also nicht zielende Verben, bilden das Perfekt mit sein, wenn ein Zustandswechsel erfolgt: Die Rosen welken. Die Rosen sind verwelkt. Intransitiv bedeutet hier, dass man nicht sagen kann: Ich welke die Rosen.

Bewegungsverben werden mit haben oder sein gebildet. Richtungsangaben erfolgen immer mit sein. Die Tendenz geht dazu, Bewegungsverben, mit denen einen Richtungsangabe möglich ist, mit sein zu bilden. Wir sind geschwommen oder wir haben geschwommen. Wir sind zu der kleinen Insel geschwommen.

Diesen Artikel habe ich am 25. April 2016 veröffentlicht und am 02. März 2023 umfassend überarbeitet.

Beitragsbild: Gareth Harrison auf Unsplash

3 Antworten auf „Haben oder sein. Heißt es: Ich bin gefahren oder ich habe gefahren?“

Herr Christian, danke sehr für Ihre Erklärung!
Sie haben mir geholfen zwischen „sein und haben gefahren“ endlich zu unterscheiden. Prima Arbeit!
Hochactungsvoll,
Der dankbare Leser

Habe eben etwas diskutiert, ob ich auf dem Heimtrainer gefahren bin oder habe. Da kommt mir Ihr Artikel gerade recht. Eigentlich kann vom Fahren ja in diesem Fall sowieso keine Rede sein. „ich bin gefahren“ fällt ja wegen der fehlenden Richtung zusätzlich hinten runter. Es gibt beim Heimtrainer kein wohin und wie gesagt sollte man gar nicht von fahren sprechen, sondern von „treten“.

Ich könnte mir vorstellen, dass es in Sachen Sprachgefühl eine große Nähe zum Radfahren gibt, weshalb man zum „bin gefahren“ neigt, so wie man eben auch mit dem Rad fährt. Aber es gibt natürlich nicht die Möglichkeit, nach einem „Wohin“ zu fragen. Vielleicht könnte man auch „trainieren“ verwenden. Der Heimtrainer ist auf jeden Fall ein sprachlicher Spezialfall, was „haben“ und „sein“ angeht. Viele Grüße!

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