Worauf man beim Nachdenken über Halbgeviert- und Bindestriche kommt: der Gedankenstrich als Rettung des Galgenmännchens
Bei meinen Vorbereitungen zu diesem Blogbeitrag musste ich an das beliebte Galgenmännchenspiel denken. Je länger man braucht, ein Wort zu erraten, desto eher baumelte das arme Männchen am Galgen. Ohne besonders gut zu sein, könnte man den kleinen Kerl vielleicht trotzdem retten, indem man einen Galgen aus Bindestrichen zeichnet, für den Strick aber einen Gedankenstrich wählt. Warum dies funktionieren könnte?
Bindestriche entsprechen in der Regel einer Länge von einem Viertelgeviert, man kennt sie als „Minus“ auf der Tastatur. Diese Längenangabe stammt noch aus der Zeit, als Texte mit Bleilettern gesetzt wurden. Und es gibt Gedankenstriche, die einem Halbgeviert entsprechen, also der doppelten Länge: Deshalb heißen sie auch Halbgeviertstrich. Microsoft Word verwandelt einen Strich, der mit je einem Leerschritt zwischen zwei Wörtern steht, übrigens automatisch in einen längeren Gedankenstrich. Auch wenn man zwei Striche hintereinander einfügt und dann auf „Enter“ drückt, wird ein Gedankenstrich bzw. Halbgeviertstrich daraus.
Also, ein kurzer Galgen aus Bindestrichen, aber ein langer Strich als Seil … müsste doch klappen, oder?
Kürzer als ein Halbgeviertstrich: der Bindestrich – auch Viertelgeviertstrich genannt
Der Bindestrich, auch bekannt als Divis, verbindet zusammengehörende Wörter und ist damit der natürliche Feind falscher Leerzeichen. Beinahe alle Wörter können im Deutschen ganz einfach zusammengeschrieben werden, der Bindestrich kann aber für mehr Übersichtlichkeit sorgen. Deshalb kann man Fußballkommentator oder Fußball-Kommentator schreiben, auch lassen sich Zusammensetzungen hervorheben (Karacho-Montag).
Außerdem verbindet der Bindestrich Wörter mit Abkürzungen (EU-Norm) bzw. Konstruktionen aus fremdsprachigen (i. d. R. noch nicht „eingedeutschten“) und deutschen Wörtern; für das Wort Businessclass schlägt der Duden zum Beispiel momentan noch die alternative Schreibung Business-Class vor. Weiterführend habe ich mich mit diesem Thema in einem weiteren Blogartikel zu Bindestrichen im Wortinneren beschäftigt. Schließlich kommt der Bindestrich auch als Ergänzungsstrich (Apfel- oder Rhabarberkompott) und als Strich der Silbentrennung vor. Was allen Anwendungsarten gemein ist: Es gibt, anders als beim Halbgeviertstrich, keinen Abstand zwischen Wort und Bindestrich.
Der Gedankenstrich – auch Halbgeviertstrich genannt
Die Abstandsregel sieht beim Gedankenstrich bzw. Halbgeviertstrich ganz anders aus: Jeweils ein Leerzeichen trennt ihn vom umgebenden Text. Er wird deshalb vor allem als Pausen- bzw. Ankündigungszeichen eingesetzt. Es gab einen Schlag – dann folgte Stille. Ich trat erwartungsvoll in die Küche – Mutter machte wirklich Buchteln! Auch für Einschübe (Teilsatz, Satz, Zusatz) wird der Gedankenstrich, analog zum Komma, verwendet: Diese Buchteln – sie strahlten und dampften in der Schüssel wie pures Gold – waren sein ganzes Glück.
Zu beachten ist dabei, dass die generelle Zeichensetzung unangetastet bleibt: Dass diese Buchteln sein ganzes Glück waren – sie strahlten und dampften in der Schüssel wie pures Gold –, konnte man ohne jeden Zweifel sagen. Mehr dazu finden Sie in meinem Blogbeitrag zur Verwendung der paarigen Gedankenstriche.
Wird ein Halbgeviertstrich hingegen als Streckenstrich verwendet, entfällt der Abstand. Dies – und die Verwendung des kurzen Bindestrichs als Streckenstrich – sind im Lektorat häufig anzutreffende Fehler. Der Streckenstrich steht zum Beispiel bei Öffnungszeiten (9–15 Uhr), Entfernungsangaben (Berlin–Helsinki: ca. 1248 km) oder auch Seitenzahlen (S. 12–14).
Gedankenstriche kommen zudem als Minuszeichen und zur Kennzeichnung von zeilenweise gegliederten Aufzählungen als Spiegelstriche zum Einsatz.
Städte, die ich noch besuchen will:
– Helsinki
– Berlin
– Budweis
– Pilsen
– Ostrava
– Florenz
Wer sich für alle typografischen Feinheiten rund um Gedanken- und Bindestriche interessiert, dem sei der entsprechende Artikel auf Typefacts von Christoph Koeberlin ans Herz gelegt.
… fertig ist das Mondgesicht
Im Großen und Ganzen ist das einfache Wörtchen „Strich“ also tatsächlich kein überkomplexes Thema. Bei den meisten Korrekturen spielen nur Verwechslungen von Binde- und Gedankenstrichen sowie das (Nicht-)Einhalten von Abständen eine Rolle. Für den zweiten Gedankenstrich einen kürzeren Bindestrich zu verwenden ist übrigens auch ein beliebter Fehler. Neben den erwähnten Strichen gibt es auch noch den besonders langen Geviertstrich, der aber sehr selten vorkommt. Er wird im Englischen als Gedankenstrich ohne Abstände eingesetzt.
Die verschiedenen Striche sollten beim Schreiben nicht als Marginalien betrachtet werden. Die durchgehend korrekte Verwendung kann nämlich häufig schon als Indikator für die Versiertheit und Sorgfalt im Umgang mit der Sprache angesehen werden. Es gilt also auch hier: kleine Sache, große Wirkung.
Dieser Artikel erschien am 21. März 2016, ich habe ihn am 31. Juli 2019 und 1. Februar 2021 überarbeitet und angepasst.
Auf einen Blick
Der Bindestrich
entspricht einem Viertelgeviert und wird immer ohne Abstände eingesetzt. Als Satzzeichen verbindet er Wörter mit anderen (fremdsprachigen) Wörtern oder Abkürzungen (Karacho-Montag, Business-Class, EU-Norm). Er ist Ergänzungs- und Silbentrennungsstrich. Sie liebt Vanille- und Schokobuchteln.
Der Gedankenstrich
ist als Halbgeviertstrich doppelt so lang wie der Bindestrich. Er wird fast immer mit Abständen eingesetzt und gilt als Pausen- und Ankündigungszeichen: Achtung – hier komme ich. Außerdem wird er für Einschübe verwendet. Das ist – und das sehe ich wirklich so – eine schöne Sache. Eine Ausnahme stellt seine Verwendung als Streckenstrich dar (bis-Strich, 9–15 Uhr): Hier entfallen die Abstände.
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