Wenn Lektoren sich zu ihrem maschinellen Ersatz äußern sollen, steht das Urteil fest, oder? Nicht unbedingt. Ich bin durchaus interessiert, was Programme im Bereich Rechtschreibung und Sprache momentan leisten können. Deshalb hatte ich mich mit dem Thema schon in einem Beitrag zur automatischen Korrektur von Texten befasst. Nach einem ersten Test der Beta- und Premiumversion folgt nun das Testupdate des Duden Mentor 2020.
Grundsätzlich kann man den Duden Mentor kostenlos nutzen. Dann aber nur mit Werbung. Auch alle Premium-Funktionen wie die Stilverbesserung fehlen, die den Mentor erst zum Mentor machen. Ich beziehe meine Besprechung daher auf die Bezahlversion des Duden Mentors.
Der Testsatz
Im damaligen Beitrag zur Autokorrektur hatte ich einen Testsatz verwendet, den ich natürlich auch hier wieder ausprobiere.
Ich heiß Christiann un wohhne in Potsdam. Heute, teste ich mal dieses Tool. Um das zu verstehen muss ich mich damit rumschlagen. Oke, jetz heißt es wohl abschiednehmen.
Das Ergebnis ist okay. Im Gegensatz zur Betaversion erkennt der Duden Mentor inzwischen die Kommafehler bei Heute und um. Auch schlägt er inzwischen richtig und statt un vor. Aus Oke wird Okay, auch das ist korrekt. Noch immer kennt der Duden Mentor die korrekte Form Abschied nehmen nicht, er schlägt die falsche Substantivierung vor, es heißt aber nicht jetzt heißt es wohl [das] Abschiednehmen, sondern Abschied [zu] nehmen. Diesen Fehler habe ich übrigens schon vor einer ganzen Weile auch auf einem Edeka-Laster ausgemacht.
Außerdem kam es diesmal zu einem schwerwiegenden Fehler, meine Eingabemaske verschwand immer wieder einfach und ein leerer, weißer Bildschirm erschien. So etwas sollte natürlich nicht passieren, wenn eine Software schon über ein Jahr in Betrieb ist.
So interpretiere ich das Ergebnis
Wenn man die Korrekturleistung unter die Lupe nimmt, fällt auf, dass der Duden Mentor den Text sehr wahrscheinlich noch nicht überblicken kann. Seine Korrekturvorschläge basieren nicht vorrangig auf der Syntax oder der Grammatik, sondern auf Wort-Ähnlichkeiten. Allerdings ist die Engine besser geworden. Das heißt, das Programm prüft nicht, ob beim ersten Satz eine Konjunktion wie und gefordert ist, sondern es versucht, ein Wort mit möglichst großer Nähe vorzuschlagen, da das Wort un nicht bekannt ist und somit nicht richtig sein kann. Nutzer/innen können sicher die richtige Form selbst finden, ihnen reicht der Hinweis. Anzumerken ist hierbei, dass auch die in Microsoft Word enthaltene Rechtschreibprüfung und andere Korrekturprogramme solche Fehler problemlos finden.
Beim Abschiednehmen ist die Sache weit schwieriger. Denn die Bildung von Substantivierungen bzw. die Unterscheidung, ob eher eine Infinitivform mit zu vorliegt, erfordert Kenntnisse, die Nutzer/innen ganz bestimmt von einer Software wie Duden Mentor erwarten. Wenn aber die falsche Form als die richtige vorgeschlagen wird, verfehlt die Software ihr Ziel. Das zeigt sich auch sehr deutlich bei einem weiteren Beispielsatz: Weder Mit ihm war nicht gut Kirschenessen noch Mit ihm war nicht gut kirschenessen wird als falsch angezeigt. Die einzige korrekte Form ist allerdings Mit ihm war nicht gut Kirschen essen. Denn man sagt wiederum nicht: Mit ihm war nicht gut [das] Kirschenessen.
Korrekturleistung: okay
Damit eine Korrektur als zuverlässig angesehen werden kann, müssen Entscheidungen begründbar und nachvollziehbar sein. Da sich Duden Mentor grundsätzlich nur auf allgemeine Regeln bezieht und dem Nutzer bzw. der Nutzerin die Korrekturentscheidung überlässt, ist dies beim Korrigieren nicht automatisch gegeben. Denn Nutzer/innen müssen immer erst interpretieren, wie die vorgeschlagene Regel auszulegen ist und ob eine Korrektur daher infrage kommt.
Außerdem sollten bei einer Korrektur nach Möglichkeit keine neuen Fehler in den Text kommen. Bei der Arbeit mit dem Duden Mentor fiel mir ein schönes Beispiel für diese Problematik auf, Duden Mentor strich „Tipping Point“ als falsch an und empfahl mir das Wort „Tippping Point“, einer allgemeinen Regel folgend. Inzwischen kennt Duden Mentor allerdings „Tipping Point“, der Fehler wurde behoben.
Das Problem ist sicher generell, dass die Software nicht automatisch identifizieren kann, ob es sich um ein Lehnwort aus dem Englischen handelt oder um ein deutsches Wort. Eine Regel reicht dafür nicht. Es ist zu vermuten, dass Texte mit vielen Wortneuschöpfungen – also Neologismen – oder fremdsprachlichen Lehnwörtern dem Duden Mentor Probleme bereiten. Das lässt sich ganz gut an einem Beispiel illustrieren: Tippe ich das falsche Wort „Startup“ ein, dann korrigiert Duden Mentor richtig zu „Start-up“. Schreibe ich aber „Start up“, gibt es laut der Software keinen Fehler.
Die Kür? Test der Stilprüfung
Wenn man sich nicht mit sprachlichen Finessen und Kleinigkeiten aufhalten will, kann man sich auch einem größeren Thema zuwenden, dem Stil. Denn mit der Namensgebung Mentor intendiert Duden ja eine ganz bestimmte Fähigkeit. Im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache finden sich auf der entsprechenden Seite die Bedeutungen „erfahrener Lehrer“ bzw. „Ratgeber, Berater, väterlicher Freund“. In diesem Sinne soll der Mehrwert also vor allem im Bereich der Text-Expertise generiert werden.
Das passt durchaus zum neuen Image des Dudens, der weniger als Verlag, sondern als digitales Kreativunternehmen auftreten will. Viele aktuell im Verlag erscheinende Titel zielen augenscheinlich eher auf das kreative Ratgeber-Segment ab. Nicht mehr nur richtig, sondern vor allem besser, erfolgreicher, zielgruppengerechter zu schreiben ist das Motto.
Bestimmte analytische Verfahren und Mechaniken sollen Texte besser lesbar machen. Auch hier geht es, so viel sei vorweg gesagt, vor allem um Regelmäßigkeiten. Anders als ein Mentor, der sich ja gezielt um die Probleme seiner Schützlinge kümmern kann und vor allem ihren Wissens- und Leistungsstand kennt, arbeitet der Duden Mentor – wie andere Software auch – nach dem Gießkannenprinzip. Ich möchte das an einzelnen Funktionen demonstrieren.
Füllwörter
Ja, Füllwörter sind vielleicht überflüssig. Nuancen braucht es nicht, zumindest nicht für die Software. Die Blätter eines Baumes sind grün, sie müssen nicht recht grün oder ein bisschen grün oder regelrecht grün sein. Die Krux am Wegstreichen des Überflüssigen ist, dass dafür nicht immer eine Notwendigkeit besteht (ja … nicht immer … auch so eine Füll-Aufweichung). Natürlich, weniger ist mehr. Aber Texte leben auch von der eigenen Sprache ihrer Schreiber/innen. Und häufig blitzt diese Sprache gerade in Nuancen und Füllwörtern durch. Nicht zu vergessen, dass es in Texten auch darum gehen kann, Umgangssprache zu imitieren, den Text direkt sprechen zu lassen.
Womit wir schon beim heiklen Thema wären, dass die stilistische Analyse nur dann sinnvoll ist, wenn vorher klar ist, ob gerade ein schnöder Amtsbrief, ein anregender Magazinartikel oder ein reißerischer Blogbeitrag geschrieben werden soll.
Was den Duden Mentor neben all dem ebenfalls stören würde: In meinem Beispielsatz stand viermal das Wort „grün“.
Wortwiederholungen
Ich gebe zu, das Markieren von sich wiederholenden Wörtern ist prinzipiell hilfreich. Es kann in einigen Texten die Qualität verbessern, indem verschiedene Wörter für die gleiche Sache einen größeren sprachlichen Raum schaffen. Im SEO-Bereich wird dann gern vom holistischen Schreiben gesprochen, die Ganzheitlichkeit ist also nicht mehr nur in der Heilkunde ein Renner. Bei der Arbeit mit dem Duden Mentor hat sich allerdings gezeigt, dass auch diese Funktion nicht immer zielführend ist.
So wurde mir im Text angestrichen, dass sich das Wort „Duden“ wiederholen würde. Leider würde es keinem Text helfen, einen solchen Eigennamen zu variieren. Noch mehr, es ist oft schlicht unmöglich. Denn ich kann natürlich auch „die Marke“, „der Verlag“ usw. schreiben, es wäre dann aber viel weniger holistisch, weil ich am ehesten einen Teilbereich des Konglomerats „Duden“ meine. Und nicht zuletzt heißt es eben nicht Müller Mentor oder Meier Mentor, sondern Duden Mentor (ja, richtig, der Mentor unterstreicht in diesem Satz das Wort „Mentor“ als Wortwiederholung).
Zweites Problem: Gerade bei Fachtexten und wissenschaftlichen Aufsätzen würde die Exaktheit unter der zwangsweisen Varianz leiden. Ich habe einen durchaus gut zu lesenden wissenschaftlichen Essay in den Duden Mentor eingespeist und mir fielen fast die Augen aus dem Kopf vor lauter farbigen Markierungen. Geschätzt waren 60 Prozent der Hinweise auf die Wiederholung von Wörtern bezogen. Ich habe die Begutachtung dann ziemlich schnell abgebrochen, weil sie in diesem Kontext einfach nicht zielführend war.
Zu lange Sätze
Ebenso wie sich wiederholende Wörter kann auch die Anzeige langer Sätze ein nützliches Feature sein. Ich neige beim Lektorieren zwar auch dazu, Sätze mit mehr als einem Komma rauszuschmeißen, ich kürze, stelle um usw. Aber ich tue es mit Augenmaß. Für einen guten Lesefluss ist es besser, wenn sich lange und kurze Sätze abwechseln. Zwar ist das Schreiben in Hauptsätzen oft ein Garant für Kürze, aber es wird schnell langweilig.
Ich stand auf. Ich wusch mich. Ich ging in den Garten. Ich rief meine Mutter. Sie kam heraus. Im Garten sahen wir die Katze. Dann kam Vater. Er sah die Katze auch.
Zweites Problem: Wann ist ein Satz zu lang? Bei der Arbeit mit dem Duden Mentor wurden mir völlig unkritische Sätze als zu lang angezeigt, weil sie eine bestimmte Zeichenzahl überschritten. Häufig resultiert die Unverständlichkeit von Sätzen aber nicht aus der bloßen Zahl ihrer Zeichen. Es geht dann eher um den Nominalstil, um Passivkonstruktionen, Kommaschachteleien und solche Dinge.
Ich behaupte, dieser Satz ist lang, aber durchaus gut lesbar:
Es war heute Morgen, als ich beschloss, mit der Bahn in die Stadt zum Einkaufen zu Werthof zu fahren und dort ein sündhaft teures Collier für meine Freundin Marie zu kaufen, die ich erst ein paar Wochen zuvor bei einem Kurzurlaub auf den Malediven kennengelernt hatte – eine tolle Frau!
Nun dieser Satz; fast genauso lang, aber schwerer lesbar:
Am Morgen war mein Entschluss gereift, die Bahn zu nehmen, um im Werthof ein sündhaft teures Collier zu erwerben, was ich meiner neuen Freundin Marie, einer tollen Frau, schenken wollte, die ich, ein paar Wochen zuvor, bei einem Kurzurlaub auf den Malediven kennengelernt hatte.
Die Länge eines Satzes entscheidet also nur bedingt über seine Lesbarkeit.
Nicht mehr nur online: das Add-in für Word
Halten wir fest: Bis hierhin bietet der Duden Mentor einige durchaus nützliche Funktionen, die aber momentan ungeübten Schreiber/innen kaum weiterhelfen.
Bis zum September 2020 war die Arbeit mit dem Duden Mentor durch zwei Dinge erschwert: Alles musste online passieren – und man konnte nur 40.000 Zeichen korrigieren lassen. Natürlich hängt beides zusammen. Die Prüfung eines längeren Textes kostet Rechenleistung und Zeit. Außerdem wird es schnell unübersichtlich. Aber gerade wer professionell mit fremden Texten arbeitet oder selbst lange Romane oder Erzählungen verfasst, hat oft einen größeren Korrekturbedarf. Da heißt es dann permanent: Copy and Paste.
Nun gibt es auch ein Add-in für Microsoft Word, das ich probeweise installiert hatte. Zum einen hat mich gestört, dass ich mich beim Neustart von Word neu mit meinen Zugangsdaten anmelden sollte. Zum anderen ist es derzeit nicht möglich, zum Beispiel die Stilprüfung abzuschalten. Die Folge: ein buntes Dokument, in dem man nicht mehr durchsieht vor lauter Markierungen. Unmöglich, dort relevante Fehler herauszufinden, da der Duden Mentor ja auch die Wiederholung von Eigennamen anstreicht. Wenn es also in einem Text um Donald Trump geht, wird jedes „Trump“ separat markiert. Dabei greift das Programm auf breite, farbige Klammern links und rechts des Wortes zurück. Das nimmt jede Menge Platz weg und ist extrem unübersichtlich.
Ich nehme auch an, dass das Add-in auf eine Internetanbindung angewiesen ist. Es ermöglicht also nicht, offline damit zu arbeiten, was ich eigentlich als eines der Ziele eines Word-Add-ins angesehen hätte.
Dass man heute immer einen Internetzugang findet, ist durchaus üblich. Trotzdem ist es ein Punkt, den man bei der Auswahl einer Korrektursoftware im Hinterkopf haben sollte. Der Duden Mentor funktioniert, so weit ich das verstehe, auch in Word nur, wenn man online gehen kann.
Bezahlmodell: Der Preis ist weniger hoch als zu Anfang
Der Duden Mentor kostet im Juli 2024 9,95 Euro im Monat, bei einem Abo über 3 oder 12 Monate sinkt der Preis auf bis zu 6,95 Euro.
Für 19,95 Euro kann man sich zum Beispiel das Stilwörterbuch des Duden-Verlags kaufen. Dort stehen noch einmal ausführlich die Tipps, die der Duden Mentor stoisch anwendet. Außerdem gibt es dafür ebenso Software, mit der man digital nachschlagen kann.
Mit einem Vergleich zu anderer Software lässt sich der Preis noch einmal einordnen. Die Vollversion des Duden Korrektors kostet einmalig 79 Euro, für Language Tool Plus zahlt man als Privatperson oder Selbstständiger 59 Euro pro Jahr bzw. 4,99 Euro pro Monat. Beim Kauf von 2 Jahren Nutzungsdauer sinkt der Preis. Beide Programme bieten Add-ins für Microsoft Office. Und wenn wir gerade beim Thema sind: Microsoft Office 365, das von Haus aus eine inzwischen solide Rechtschreib- und Grammatikprüfung mitbringt, kostet 69 Euro im Jahr für Einzelanwender/innen.
Das Programm Papyrus Autor kostet einmalig 199 Euro.
Im Prinzip reicht in vielen Fällen die Word-Office-Prüfung schon aus. Wer Wert darauf legt, nach Duden-Empfehlung zu schreiben, ist mit einer zusätzlichen Bezahlsoftware aber gut versorgt.
Das Fazit: Keine Empfehlung für den „Duden Mentor“
Mir genügt das alles nicht, um den Duden Mentor vorbehaltlos zu empfehlen. Generell finde ich Korrektursoftware zur Absicherung meiner Korrekturergebnisse sehr nützlich. Und auch der höhere Abopreis ist natürlich nichts gegen den Stundensatz eines freiberuflichen Lektors. Aber der Preis sollte sich doch in der Leistung der Software widerspiegeln, und das ist für mich nicht der Fall. Dafür sind die Entscheidungen und Empfehlungen des Duden Mentors oft zu weit weg vom konkreten Text. Der Nutzer muss am Ende die Entscheidungen selbst treffen und hat eben keinen Berater an seiner Seite. (Ich bin hier auch so kleinlich, weil der Duden in Sachen Naming natürlich eine besondere Reputation besitzt und damit größere Verantwortung trägt. Sprache sollte ja keine Hohlkammer und keine werbetechnische Luftnummer sein.) Außerdem wirkt das Programm bzw. das Vermarktungsumfeld auf mich immer konfuser. Es gibt jede Menge Fehlermeldungen, ein unklares Preismodell und als Nutzer/in fühlt man sich schnell seltsam, dass man immer wieder „besonders günstig“ im Vergleich zum Normalpreis zum Zug kommt. Das Word-Add-in des Duden Mentor ist meiner Meinung nach momentan absolut unbrauchbar, da es keine Einstellungsmöglichkeiten gibt, nur die Rechtschreibung und Grammatik zu prüfen. Dadurch werden Dokumente so mit Anmerkungen überladen, dass eine Prüfung nicht möglich ist.
Wer die groben Schnitzer ausbügeln will und verschmerzen kann, dass hin und wieder auch neue Fehler in den Text kommen, der kann guten Gewissens mit der Korrekturfunktion von Microsoft Word arbeiten. Und wer einen Hinweis auf die von Duden empfohlene Schreibweise braucht, kann gut und gern zum Duden Korrektor oder zu Language Tool Plus oder Papyrus Autor greifen. Diese Programme sind ebenfalls noch nicht perfekt, aber werden kontinuierlich weiterentwickelt und haben einen guten und schnellen Support.
Titelbild: NeONBRAND on Unsplash
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